%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% % Henriekes Mitschrieb vom 07.11.2013 % %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% \chapter{Mannigfaltigkeiten und Simpizidkomplexe} \section{Topologische Mannigfaltigkeiten} \begin{definition} Sei $X$ ein topologischer Raum und $n \in \mdn$. \begin{enumerate}[label=(\alph*)] \item Eine $n$-dimensionale \textbf{Karte}\xindex{Karte} auf $X$ ist ein Paar $(U, \varphi)$, wobei $U \subseteq X$ offen und $\varphi: U \rightarrow V$ Homöomorphismus von $U$ auf eine offene Teilmenge $V \subseteq \mdr^n$. \item Ein $n$-dimensionaler \textbf{Atlas}\xindex{Atlas} auf $X$ ist eine Familie $(U_i, \varphi_i)_{i \in I}$ von Karten auf $X$, sodass $\bigcup_{i \in I} U_i = X$. \item $X$ heißt (topologische) $n$-dimensionale \textbf{Mannigfaltigkeit}\xindex{Mannigfaltigkeit}, wenn $X$ hausdorffsch ist, eine abzählbare Basis der Topologie hat und ein $n$-dimensionalen Atlas besitzt. \end{enumerate} \end{definition} \begin{bemerkung} \begin{enumerate}[label=(\alph*)] \item Es gibt surjektive, stetige Abbildungen $[0,1] \rightarrow [0,1] \times [0,1]$ \item Für $n \neq m$ sind $\mdr^n$ und $\mdr^m$ nicht homöomorph. Zum Beweis benutzt man den \enquote{Satz von der Gebietstreue} (Brouwer): Ist $U \subseteq \mdr^n$ offen und $f: U \rightarrow \mdr^n$ stetig und injektiv, so ist $f(U)$ offen. Ist $n < m$ und $\mdr^m$ homöomorph zu $\mdr^n$, so wäre \[f:\mdr^n \rightarrow \mdr^m \rightarrow \mdr^n, \;\;\; (x_1, \dots, x_n) \mapsto (x_1, x_2, \dots, x_n, 0, \dots, 0)\] eine stetige injektive Abbildung. Also müsste $f(\mdr^n)$ offen sein $\Rightarrow$ Widerspruch \end{enumerate} \end{bemerkung} \begin{beispiel} \begin{enumerate}[label=\arabic*)] \item Jede offene Teilmenge $U \subseteq \mdr^n$ ist eine $n$-dimensionale Mannigfaltigkeit mit einem Atlas aus einer Karte. \item $\mdc^n$ ist eine $2n$-dimensionale Mannigfaltigkeit mit einem Atlas aus einer Karte: \[(z_1, \dots, z_n) \mapsto (\operatorname{Re} z_1, \operatorname{Im}z_1, \dots, \operatorname{Re}z_n, \operatorname{Im}z_n)\] \item $\mdp^n(\mdr) = (\mdr^{n+1} \setminus \Set{0})/_\sim = S^n /_\sim$ und $\mdp^n(\mdc)$ sind Mannigfaltigkeiten der Dimension $n$ bzw. $2n$. $\mdp^n(\mdr) = \bigcup_{i=0}^n U_i,$ \begin{align*} U_i = \Set{(x_0: \dots : x_n) \in \mdp^n(\mdr) | x_i \neq 0} &\rightarrow \mdr^n\\ (x_0 : \dots : x_n) &\mapsto \left (\frac{x_0}{x_i}, \dots, \frac{x_i}{x_i}, \dots, \frac{x_n}{x_i} \right )\\ (y_1 : \dots : y_{i-1} : 1 : y_i : \dots : y_n) &\mapsfrom (y_1, \dots, y_n) \end{align*} ist bijektiv. Die $U_i,\; i = 0, \dots, n$ bilden einen $n$-dimensionalen Atals. \begin{align*} x &= (1:0:0) &y &= (0:1:1) \in U_2 \rightarrow \mdr^2\\ \in U_0 &\rightarrow \mdr^2 &y &\mapsto (0,1)\\ x &\mapsto (0,0) &&\text{Umgebung: } \fB_1 (0,1) \rightarrow \Set{(w:z:1) | w^2 + z^2 < 1} = V_2 \end{align*} Umgebung $\fB_1(0,1) \rightarrow \Set{(1:u:v) | \|(u,v)\| < 1} = v_1$ $V_1 \cap V_2 = \emptyset$? $(a:b:c) \in V_1 \cap V_2$\\ $\Rightarrow a \neq 0$ und $(\frac{b}{a})^2 + (\frac{c}{a})^2 < 1 \Rightarrow \frac{c}{a} < 1$\\ $\Rightarrow c \neq 0$ und $(\frac{a}{c})^2 + (\frac{b}{c})^2 < 1 \Rightarrow \frac{a}{c} < 1$\\ $\Rightarrow$ Widerspruch \item $S^n = \Set{x \in \mdr^{n+1} | \|x\| = 1}$ ist $n$-dimensionale Mannigfaltigkeit. Karten: $O_i := \Set{(x_1, \dots, x_{n+1}) \in S^n | x_i > 0} \rightarrow \fB_1 (\underbrace{0, \dots, 0}_{\in \mdr^n})$\\ $(x_1, \dots, x_{n+1}) \mapsto (x_1, \dots, x_i, \dots, x_{n+1})$\\ $(x_1, \dots, x_{i-1}, \sqrt{1-\sum_{k=1}^n x_k^2}, x_i, \cdots, x_n)\mapsfrom (x_1, \dots, x_n)$\\ $S^n = \bigcup_{i=1}^{n+1} (C_i \cup D_i)$ \item $[0,1]$ ist keine Mannigfaltigkeit, denn:\\ Es gibt keine Umgebung von $0$ in $[0,1]$, die homöomorph zu einem offenem Intervall ist. \item $V_1 = \Set{(x,y) \in \mdr^2 | x \cdot y = 0}$ ist keine Mannigfaltigkeit. \item $V_2 = \Set{(x,y) \in \mdr^2 | x^3 = y^2}$ ist eine Mannigfaltigkeit. \item $X = (\mdr \setminus \Set{0}) \cup (O_1, O_2)$ \[U \subseteq X \text{ offen } \gdw \begin{cases} U \text{ offen in } \mdr \setminus \Set{0}, &\text{falls } O_1 \notin U, O_2 \in U\\ \exists \varepsilon > 0 \text{ mit } (-\varepsilon, \varepsilon) \subseteq U &\text{falls } O_1 \in U, O_2 \in U \end{cases}\] Insbesondere sind $(\mdr \setminus \Set{0}) \cup \Set{O_1}$ und $(\mdr \setminus \Set{0}) \cup \Set{O_2}$ offen und homöomorph zu $\mdr$. \underline{Aber:} $X$ ist nicht hausdorffsch! Denn es gibt keine disjunkten Umgebungen von $O_1$ und $O_2$. \item $\GL_n(\mdr)$ ist eine Mannigfaltigkeit der Dimension $n^2$, weil offene Teilmengen von $\mdr^{n^2}$ eine Mannigfaltigkeit bilden. \end{enumerate} \end{beispiel} %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% % Mitschrieb vom 14.11.2013 % %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% \begin{definition}\xindex{Verklebung} Seien $X, Y$ $n$-dimensionale Mannigfaltigkeiten, $U \subseteq X$ und $V \subseteq Y$ offen, $\Phi: U \rightarrow V$ ein Homöomorphismus $Z = (X \dcup Y) /_\sim$ mit der von $u \sim \Phi(u) \forall{u \in U}$ erzeugten Äquivalenzrelation und der von $\sim$ induzierten Quotiententopologie. $Z$ heißt \textbf{Verklebung} von $X$ und $Y$ längs $U$ und $V$. $Z$ besitzt einen Atlas aus $n$-dimensionalen Karten. Falls $Z$ hausdoffsch ist, ist $Z$ eine $n$-dimensionale Mannigfaltigkeit. \end{definition} \todo[inline]{Bilder mit Verklebung einfügen} \begin{korollar} Sind $X, Y$ Mannigfaltigkeiten der Dimension $n$ bzw. $m$, so ist $X \times Y$ eine Mannigfaltigkeit der Dimension $n+m$. \end{korollar} \begin{beweis} Produkte von Karten sind Karten. $\qed$ \end{beweis} \begin{beispiel} Mannigfaltigkeiten mit Dimension 1: \begin{enumerate}[label=\arabic*)] \item Offene Intervalle, $\mdr$, $(0,1)$ sind alle homöomorph \item $S^1$ \end{enumerate} Mannigfaltigkeiten mit Dimension 2: \begin{enumerate}[label=\arabic*)] \item $\mdr^2$ \item $S^2$ (0 Henkel) \item $T^2$ (1 Henkel) \item oder mehr Henkel, wie z.B. der Zweifachtorus in Abb. \ref{fig:double-torus} \end{enumerate} \begin{figure} \centering \includegraphics[width=0.2\linewidth, keepaspectratio]{figures/Double-torus-illustration.png} \caption{Zweifachtorus} \label{fig:double-torus} \end{figure} \end{beispiel} \begin{korollar} Sei $n \in \mdn, F:\mdr^n \rightarrow \mdr$ stetig differenzierbar und $X = V(F) := \Set{x \in \mdr^n | F(x) = 0}$ das \enquote{vanishing set}. Dann gilt: \begin{enumerate}[label=\alph*)] \item $X$ ist abgeschlossen in $\mdr^n$ \item Ist $\text{grad}(F)(X) \neq 0 \forall{x \in X}$, so ist $X$ eine Mannigfaltigkeit der Dimension $n-1$. \label{Mannigfaltigkeitskriterium} \end{enumerate} \end{korollar} \begin{beweis} \begin{enumerate}[label=\alph*),ref=\theplaindefinition.\alph*] \item Sei $y \in \mdr^n \setminus V(F)$. Weil $F$ stetig ist, gibt es $\delta > 0$, sodass $F(\fB_\delta(y)) \subseteq \fB_\varepsilon(F(y))$ mit $\varepsilon = \frac{1}{2} \|F(y)\|$. Folgt $\fB_\delta(y) \cap V(F) = \emptyset \Rightarrow \mdr^n \setminus V(F)$ ist offen. \item Sei $x \in X$ mit $\text{grad}(F)(x) \neq 0$, also \obda $\frac{\partial F}{\partial X_1} (x) \neq 0$, $x = (x_1, \dots, x_n)$, $x' := (x_2, \dots, x_n) \in \mdr^{n-1}$. Der Satz von der impliziten Funktion liefert nun: Es gibt Umgebungen $U$ von $x'$ und differenzierbare Funktionen $g: U \rightarrow \mdr$, sodass $G: U \rightarrow \mdr^n, \; u \mapsto (g(u), u)$ eine stetige Abbildung auf eine offene Umgebung $V$ von $x$ in $X$ ist. \end{enumerate} $\qed$ \end{beweis} \begin{beispiel}\xindex{Neilsche Parabel} \begin{enumerate}[label=\alph*)] \item $F: \mdr^3 \rightarrow \mdr,\;\;\; (x, y, z) \mapsto x^2 + y^2 + z^2 - 1$, $V(F) = S^2$, $\text{grad}(F) = (2x, 2y, 2z) \xRightarrow{\ref{Mannigfaltigkeitskriterium}} S^n$ ist $n$-dimensionale Mannigfaltigkeit in $\mdr^{n+1}$ \item $F: \mdr^2 \rightarrow \mdr, \;\;\; (x,y) \mapsto y^2 - x^3$ \begin{figure}[ht] \centering \subfloat[$F(x,y) = y^2 - x^3$]{ \input{figures/3d-function-semicubical-parabola.tex} \label{fig:semicubical-parabola-2d} }% \subfloat[$y^2 - ax^3 = 0$]{ \input{figures/2d-semicubical-parabola.tex} \label{fig:semicubical-parabola-3d} }% \label{Neilsche-Parabel} \caption{Rechts ist die Neilsche Parabel für verschiedene Parameter $a$.} \end{figure} Es gilt: $\text{grad}(F) = (-3x^2, 2y)$. Also: $\text{grad}(0,0) = (0,0)$. Daher ist Korollar \label{Mannigfaltigkeitskriterium} nicht anwendbar, aber $V(F)$ ist trotzdem eine 1-dimensionale topologische Mannigfaltigkeit. \end{enumerate} \end{beispiel} \begin{definition}\textbf{Mannigfaltigkeit!mit Rand} Sei $X$ ein Hausdorffraum mit abzählbarer Basis der Topologie. $X$ heißt $n$-dimensionale \textbf{Mannigfaltigkeit mit Rand}, wenn es einen Atlas $(U_i, \varphi_i)$ gibt, wobei $U_i \subseteq X_i$ offen und $\varphi_i$ ein Homöomorphismus auf eine offene Teilmenge von \[R_{+,0}^n := \Set{(x_1, \dots, x_n) \in \mdr^n | x_m \geq 0}\] ist. $R_{+,0}^n$ ist ein \enquote{Halbraum}. \end{definition} \begin{beispiel} \todo[inline]{Viele Bilder: Pair of pants, sphere with a hole, halbraum...} \end{beispiel} \begin{definition}\xindex{Rand} Sei $X$ eine $n$-dimensionale Mannigfaltigkeit mit Rand und Atlas $(U_i, \varphi_i)$. Dann heißt \[\partial X := \bigcup_{i\in I} \Set{x \in U_i | \varphi_i (x)_n = 0}\] \textbf{Rand} von $X$. \end{definition} $\partial X$ ist eine Mannigfaltigkeit der Dimension $n-1$. \begin{definition}\xindex{Kartenwechsel}\xindex{bergangsfunktion} Sei $X$ eine $n$-dimensionale Mannigfaltigkeit mit Atlas $(U_i, \varphi_i)_{i \in I}$ \begin{enumerate}[label=\alph*)] \item Für $i, j \in I$ mit $U_i, U_j \neq \emptyset$ heißt \begin{align*} \varphi_{ij} &:= \varphi_j \circ \varphi_i^{-1}\\ \varphi_i (U_i \cap U_j) &\rightarrow \varphi_j (U_i \cap U_j) \end{align*} \textbf{Kartenwechsel} oder \textbf{Übergangsfunktion}. \end{enumerate} \end{definition} \todo[inline]{Bilder mit Verklebung einfügen} % Die Übungsaufgaben sollen ganz am Ende des Kapitels sein. \input{Kapitel2-UB}