%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% % Mitschrieb vom 09.01.2014 % %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% \chapter{Euklidische und Nichteuklidische Geometrie} \section{Axiome für die euklidische Ebene} Axiome\xindex{Axiom} bilden die Grundbausteine jeder mathematischen Theorie. Eine Sammlung aus Axiomen nennt man Axiomensystem\xindex{Axiomensystem}. Da der Begriff des Axiomensystems so grundlegend ist, hat man auch ein paar sehr grundlegende Vorderungen an ihn: Axiomensysteme sollen \textbf{widerspruchsfrei} sein, die Axiome sollen möglichst \textbf{unabhängig} sein und \textbf{Vollständigkeit} wäre auch toll. Mit Unabhängigkeit ist gemeint, dass kein Axiom sich aus einem anderem herleiten lässt. Dies scheint auf den ersten Blick eine einfache Eigenschaft zu sein. Auf den zweiten Blick muss man jedoch einsehen, dass das Parallelenproblem, also die Frage ob das Parallelenaxiom unabhängig von den restlichen Axiomen ist, über 2000 Jahre nicht gelöst wurde. Ein ganz anderes Kaliber ist die Frage nach der Vollständigkeit. Ein Axiomensystem gilt als Vollständig, wenn jede Aussage innerhalb des Systems verifizierbar oder falsifizierbar ist. Interessant ist hierbei der Gödelsche Unvollständigkeitssatz, der z.~B. für die Arithmetik beweist, dass nicht alle Aussagen formal bewiesen oder wiederlegt werden können. Kehren wir nun jedoch zurück zur Geometrie. Euklid hat in seiner Abhandlung \enquote{Die Elemente} ein Axiomensystem für die Geometrie aufgestellt. \textbf{Euklids Axiome} \begin{itemize} \item \textbf{Strecke} zwischen je zwei Punkten \item Jede Strecke bestimmt genau eine \textbf{Gerade} \item \textbf{Kreis} (um jeden Punkt mit jedem Radius) \item Je zwei rechte Winkel sind gleich (Isometrie, Bewegung) \item Parallelenaxiom: Euklid:\\ Wird eine Gerade so von zwei Geraden geschnitten, dass die Summe der Innenwinkel zwei Rechte ist, dann schneiden sich diese Geraden auf der Seite dieser Winkel. \todo[inline]{Bild} Man mache sich klar, dass das nur dann nicht der Fall ist, wenn beide Geraden parallel sind und senkrecht auf die erste stehen. \end{itemize} \begin{definition}\xindex{Ebene!euklidische}%In Vorlesung: Definition 14.2 Eine \textbf{euklidische Ebene} ist ein metrischer Raum $(X,d)$ zusammen mit einer Teilmenge $G \subseteq \powerset{X}$, sodass die Axiome~\ref{axiom:1}~-~\ref{axiom:4} erfüllt sind: \begin{enumerate}[label=§\arabic*),ref=§\arabic*] \item \enquote{Inzidenzaxiome}:\label{axiom:1} \begin{enumerate}[label=(\roman*),ref=\theenumi{} (\roman*)] \item Zu $P \neq Q \in X$ gibt es genau ein $g \in G$ mit $\Set{P, Q} \subseteq g$. \item $|g| \geq 2 \;\;\; \forall g \in G$ \item $X \in G$ \end{enumerate} \item \enquote{Abstandsaxiom}: Zu $P, Q, R \in X$ gibt es \label{axiom:2} genau dann ein $g \in G$ mit $\Set{P, Q, R} \subseteq g$, wenn gilt: \begin{itemize}[] \item $d(P, R) = d(P, Q) + d(Q, R)$ oder \item $d(P, Q) = d(P, R) + d(R, Q)$ oder \item $d(Q, R) = d(Q, P) + d(P, R)$ \end{itemize} \end{enumerate} \end{definition} \begin{definition} \begin{enumerate}[label=\alph*)] \item $P, Q, R$ liegen \textbf{kolinear}\xindex{kolinear}, wenn es $g \in G$ gibt mit $\Set{P, Q, R} \subseteq g$. \item $Q$ \textbf{liegt zwischen}\xindex{liegt zwischen} $P$ und $R$, wenn $d(P, R) = d(P, Q) + d(Q, R)$ \item $\overline{PR} := \Set{Q \in X | Q \text{ liegt zwischen } P \text{ und } R}$ \item $PR^+ := \Set{Q \in X | Q \text{ liegt zwischen } P \text{ und } R \text{ oder } R \text{ liegt zwischen } P \text{ und } Q}$\\ $PR^- := \Set{Q \in X | P \text{ liegt zwischen } Q \text{ und } R}$\\ \end{enumerate} \end{definition} \begin{korollar} \begin{enumerate}[label=(\roman*)] \item $PR^+ \cup PR^- = PR$ \item $PR^+ \cap PR^- = \Set{P}$ \end{enumerate} \end{korollar} \begin{beweis}\leavevmode \begin{enumerate}[label=(\roman*)] \item \enquote{$\subseteq$} folgt direkt aus der Definition von $PR^+$ und $PR^-$\\ \enquote{$\supseteq$}: Sei $Q \in PR \Rightarrow P, Q, R$ sind kolinear.\\ $\stackrel{\ref{axiom:2}}{\Rightarrow} \begin{cases} Q \text{ liegt zwischen } P \text{ und } R \Rightarrow Q \in PR\\ R \text{ liegt zwischen } P \text{ und } Q \Rightarrow Q \in PR\\ P \text{ liegt zwischen } Q \text{ und } R \Rightarrow Q \in PR \end{cases}$ \item \enquote{$\supseteq$} ist offensichtlich\\ \enquote{$\subseteq$}: Sei $PR^+ \cap PR^-$. Dann ist $d(Q,R) = d(P,Q) + d(P,R)$ weil $Q \in PR^-$ und \begin{align*} &\left \{ \begin{array}{l} d(P,R) = d(P,Q) + d(Q,R) \text{ oder }\\ d(P,Q) = d(P,R) + d(R,Q) \end{array} \right \}\\ &\Rightarrow d(Q,R) = 2d(P,Q) + d(Q,R)\\ &\Rightarrow d(P,Q) = 0\\ &\Rightarrow P=Q\\ &d(P,Q) = 2d(P,R) + d(P,Q)\\ &\Rightarrow P=R\\ &\Rightarrow \text{Widerspruch} \end{align*} \end{enumerate} \end{beweis} \begin{definition} \begin{enumerate}[label=§\arabic*),ref=§\arabic*,start=3] \item \enquote{Anordnungsaxiom}\label{axiom:3} \begin{enumerate}[label=(\roman*),ref=§\theenumi{} (\roman*)] \item Zu jedem $P \in X$ jeder Halbgerade $H$ mit \label{axiom:3.1} Anfangspunkt $P$ und jedem $r \in \mdr_{\geq 0}$ gibt es genau ein $Q \in H$ mit $d(P,Q) = r$. \item Jede Gerade zerlegt $X \setminus g = H_1 \dcup H_2$ in zwei nichtleere Teilmengen $H_1, H_2$. (Diese Teilmengen heißen \textbf{Halbebenen}\xindex{Halbebene} bzgl. $g$), sodass für alle $A \in H_i$, $B \in H_j$ $(i,j \in \Set{1,2})$ gilt: $\overline{AB} \cap g \neq \emptyset \Leftrightarrow i \neq j$ \end{enumerate} \item \enquote{Bewegungsaxiome}: Zu $P, Q, P', Q' \in X$\label{axiom:4} mit $d(P,Q) = d(P', Q')$. Isometrien $\varphi_1, \varphi_2$ mit $\varphi_i (P) = P'$ und $\varpi_i(Q) = Q', i=1,2$ (Spiegelung an der Gerade durch $P$ und $Q$ ist nach Identifizierung von $P \cong P'$ und $Q \cong Q'$ eine weitere Isometrie.) \end{enumerate} \end{definition} \begin{proposition}%In Vorlesung: Satz 14.4 Aus den Axiomen \ref{axiom:1}~-~\ref{axiom:3} folgt, dass es in den Situation \ref{axiom:4} höchstens zwei Isometrien mit $\varphi_i(P) = P'$ und $\varphi_i(Q) = Q'$ gibt. \end{proposition} \begin{beweis} Seien $\varphi_1, \varphi_2, \varphi_3$ Isometrien mit $\varphi_i(P) = P'$, $\varphi_i(Q) = Q'$, $i=1,2,3$ \begin{behauptung} Es gibt $R \in PQ$ mit $\varphi_{A_i} (R) = \varphi_{Z_j} (R)$ mit $i \neq j$. \Obda sei $i=1$ und $j=2$, also $\varphi_1(R) = \varphi_2(R)$. \end{behauptung} \begin{behauptung} Hat eine Isometrie $\varphi$ 3 Fixpunkte, die nicht kolinear sind, so ist $\varphi = \id_X$. Aus Beh. 1 und Beh. 2 folgt, dass $\varphi_2^{-1} \circ \varphi_1 = \id_X$, also $\varphi_2 = \varphi_1$. \end{behauptung} \begin{beweis}\leavevmode \begin{behauptung} Sind $P \neq Q$ Fixpunkte einer Isometrie, so ist $\varphi(R) = R$ für jedes $R \in PQ$. \end{behauptung} \begin{beweis} Es ist $\varphi(PQ) = \varphi(P) \varphi(Q)$ weil $\varphi$ wegen \ref{axiom:2} kolinearität erhält. Sei nun $R \in PQ$. Dann ist $d(P, \varphi(R)) \stackrel{P \text{ ist Fixpunkt}}{=} d(\varphi(P), \varphi(R)) = d(P, R)$. Weiter ist $\varphi (PQ^+) = \varphi(P) \varphi(Q)^+ = PQ^+$ $\stackrel{\ref{axiom:3.1}}{\Rightarrow} R = \varphi(R)$ \end{beweis} \end{beweis} \end{beweis}